Meta-Zinnober
Forscher der Universität Marseille und des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden schlagen ein neues Leitermaterial für elektronische Geräte vor, die mit wenig Strom auskommen. Das Besondere: Der Strom fließt nur auf der Kristalloberfläche und nicht durch deren Inneres.
© Lou Perrloff / Photo-Atlas of Minerals
Nach Berechnungen theoretischer Physiker weist das natürliche Mineral Meta-Zinnober einen exotischen Quantenzustand auf, der bewirkt, dass der elektrische Strom auf der Oberfläche der Meta-Zinnober-Kristalle ohne Verluste fließt.
Ein Forscherteam aus Marseille und Dresden hat entdeckt, dass diese Form des Quecksilber-Sulfids ein sogenannter topologischer Isolator ist. Dabei handelt es sich um Materialien, die gleichzeitig als Isolatoren und als elektrische Leiter agieren können. Während im Inneren der Kristalle kein Strom fließt, sind die Kristalloberflächen elektrisch leitend.
Bei diesem kanalisierten Stromfluss gibt es kaum Streuungen am Atomgitter, so dass der elektrische Widerstand und damit der Energieverlust sehr klein sind. Topologische Isolatoren sind derzeit ein heißes Eisen der Materialphysik. Bisher wurden etwa zehn Materialien identifiziert, die diese interessante Eigenschaft aufweisen.
Das nun hinzu gekommene Quecksilber-Sulfid hat in dieser Materialfamilie noch eine besondere Eigenschaft: An seiner Oberfläche bilden sich spontan parallele Kanäle, die den Strom leiten. Innerhalb dieser Kanäle fließt der Strom fast ungehindert, während ein Stromfluss von Kanal zu Kanal so gut wie ausgeschlossen ist. Auf diese Weise stellt die Oberfläche dieser Kristalle ein System paralleler elektrischer Drähte dar.
„Interessanter Weise ist Quecksilber-Sulfid den Menschen seit alters her bekannt und namensgebend für den Farbton Zinnoberrot.” sagt Prof. Jeroen van den Brink vom IFW Dresden, „Die Römer kannten das leuchtend orange-rote Mineral als Zinnober; im Mittelalter nannte man es Vermilion. Wir haben es hier mit der etwas unscheinbareren grau-schwarzen Variante dieses Stoffs zu tun, dem Meta-Zinnober. Es ist zwar nicht so auffällig in der Farbe, aber in sich birgt es einen faszinierenden neuen Quantenzustand.“
Die Elektronen, die sich durch die Kanäle an der Kristalloberfläche des Meta-Zinnobers bewegen, haben – wie alle Elektronen - nicht nur eine elektrische Ladung sondern auch ein magnetisches Moment, den sogenannten Spin, einen inneren Drehsinn.
In einem normalen elektrischen Leiter, beispielsweise aus Kupfer, zeigen die Spins in ganz unterschiedliche Richtungen. Anders beim Meta-Zinnober. Hier haben die Spins aller Elektronen, die sich in einer bestimmten Richtung bewegen auch exakt dieselbe Ausrichtung. Elektronen, die sich in entgegen gesetzter Richtung bewegen, haben die entgegen gesetzte Spinorientierung.
Die Kopplung der Spinausrichtung an die Bewegungsrichtung der Elektronen führt dazu, dass gleichzeitig mit dem Strom von Ladung auch ein reiner Spinstrom fließt. Das ist ein vielversprechender Effekt für die Spintronik, eine gerade im Entstehen begriffene neue Technologie der Informationsverarbeitung. Dabei werden elektronische Bauelemente entwickelt, die beide Eigenschaften der Elektronen nutzen, die Ladung und den Spin.
Die übliche Streuung kann zwar die Richtung des Elektronenflusses verändern, nicht aber den Spin in die entgegen gesetzte Richtung kippen. Im Meta-Zinnober ist eine Änderung der Bewegungsrichtung der Elektronen grundsätzlich mit einer Umorientierung ihres Spins verbunden. Das führt dazu, dass die normale Streuung und der damit verbundene Energieverlust unterdrückt werden. So können Elektronen entlang der Kristalloberfläche fließen, ohne gestreut zu werden. Das macht topologische Isolatoren sehr interessant für künftige Transistoren, Speicher und Magnetsensoren, die energieeffizient und verlustarm funktionieren müssen.
„Einige experimentelle Gruppen arbeiten bereits an der Untersuchung des Meta-Zinnobers.“ sagt Prof. Dr. Bernd Büchner vom IFW Dresden „Das Problem ist, dass der Stromfluss im Inneren der Quecksilber-Sulfid-Kristalle nur dann hinreichend unterdrückt wird, wenn die Kristalle wirklich rein genug sind. Der subtile Oberflächeneffekt wird durch Verunreinigungen zunichte gemacht. Deshalb hat das kontrollierte Kristallwachstum dieser Substanz ohne Verunreinigungen oder Defekte die oberste Priorität.“
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Physical Review Letters erschienen:
F. Virot, R. Hayn, M. Richter and J. van den Brink, “Metacinnabar (beta-HgS): a strong 3D topological insulator with highly anisotropic surface states”. PRL 106, 237001 (2011).
URL: http://link.aps.org/
DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.236806
Kontakt:
Prof. Dr. Jeroen van den Brink
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